von Fabian Hock

Die Angst vor millionenfachem Jobabbau ist die Schattenseite der Digitalisierung. Hat der Mensch noch Platz in der Fabrik? Welche Rolle er in der digitalen Wirtschaft spielt.

Was macht die Digitalisierung mit uns und mit unserer Wirtschaft? Wir sehen Roboter, die neben Menschen am Fliessband stehen, und neue Technologien wie 3-D-Drucker, die heute sogar Essen zubereiten können. All das läuft unter dem Schlagwort Industrie 4.0, der vierten industriellen Revolution. Clevere Unternehmer haben sich schon auf die neue Arbeitswelt eingestellt und Ideen entwickelt, wie sie aus den neuen Möglichkeiten ein Geschäft machen. Etwa die Schwyzer Firma LCA, die dank neuer Algorithmen weiss, wann ihre Maschinen kaputtgehen, und schon vorher präventiv eingreifen kann (siehe Text unten).

Doch ist das wirklich alles? Gehört zu einer (industriellen) Revolution nicht auch eine gesellschaftliche Komponente? Die Antwort liefert eine vom Weltwirtschaftsforum WEF selbst veröffentlichte Studie zu den Folgen der Digitalisierung für die Arbeitsplätze in den westlichen Industriestaaten. Das Ergebnis sollte aufrütteln: Sieben Millionen Jobs sollen bis zum Jahr 2020 verlorengehen, lediglich zwei Millionen neu dazukommen. Bliebe ein Verlust von fünf Millionen Arbeitsplätzen. Die Verunsicherung ist gross, die Angst vor einem Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt geht um.

Neue Berufsbilder schaffen

Dass es so kommt, ist noch keine ausgemachte Sache. Trotzdem tun die Verantwortlichen in der Schweiz gut daran, sich schon frühzeitig mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen und sich auf mögliche Folgen vorzubereiten, meint Stephan Sigrist, Gründer des Zürcher Think Tanks W.I.R.E.. «Wir befinden uns in einer Phase grosser Veränderung», sagt er. «Es wird sicher nicht alles bleiben, wie es heute ist.» Daraus ergäben sich zwei Konsequenzen: «Zum einen wird es darum gehen, die Menschen umzuschulen, neue Berufsbilder zu entwickeln und Fähigkeiten zu erlernen, die uns gegenüber den Algorithmen abgrenzen.» Zum anderen werde man parallel dazu über Modelle des Zusammenlebens nachdenken müssen, die politische und gesellschaftliche Stabilität gewährten. Nicht wenige Manager im Silicon Valley bevorzugten etwa das allgemeine Grundeinkommen.

Der Mensch, sagt Sigrist, werde in der durchdigitalisierten Welt trotz aller ausgerufener Schreckensszenarien eine wichtigere Rolle einnehmen, als wir heute teilweise glauben wollen. Für gut Qualifizierte, strategisch denkende Menschen gelte das ohnehin – aber nicht nur für die: «Menschen werden weiterhin dort gebraucht, wo es um menschliche Nähe geht: in Pflegeberufen, im Wellness-Sektor, in der Medizin, im Gesundheitsbereich insgesamt. Überall dort, wo es darum geht, Vertrauen aufzubauen oder komplexe Sachverhalte zu erklären.»

Besonders Frauen sind gefährdet

Klar scheint indes, dass es Buchhalter und Mitarbeiter im Telefonmarketing oder im Detailhandel künftig schwer haben werden, sich gegen die Maschinen zu behaupten. Laut den Autoren der WEF-Studie seien besonders Frauen von der Entwicklung negativ betroffen: Sie seien überproportional dort beschäftigt, wo Stellen wegfallen und unterrepräsentiert in Bereichen wie Informatik und Ingenieurwesen, die von der Digitalisierung profitieren.

Aber auch das sei nicht das Ende der Geschichte, sagt Sigrist: «Man hat schon zuvor das Ende für viele Tätigkeiten und Massenarbeitslosigkeit prophezeit. In der Vergangenheit ist aber immer das Gegenteil passiert: Die Produktivität ist gestiegen, aber es hat eine Verlagerung der Tätigkeiten gegeben. Ich glaube, dass auch dieses Mal Potenzial für eine Produktivitätssteigerung besteht.» Gleichzeitig, betont er, müsse aber das, was die Maschinen nicht können, nämlich innovativ und kreativ sein, über den Tellerrand hinausdenken, gefördert werden. «Innovation kommt nicht von Algorithmen.» Für die Kreativität bleibt der Mensch zuständig.

Kreativität in Zeiten der Digitalisierung bescheinigt man in erster Linie denjenigen, die diese Entwicklung angestossen haben und nach wie vor die Haupttreiber sind: den IT-Spezialisten aus dem kalifornischen Silicon Valley. Sollte die Schweizer Wirtschaft einfach möglichst viel davon übernehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben? «Die Schweizer Unternehmen», sagt Sigrist, «müssen nicht zwingend Mitarbeiter ins Silicon Valley schicken, um die dortige Herangehensweise zu kopieren.» Die Chance für die Schweiz liege vielmehr darin, «ihren eigenen Weg in dieser digitalen Wirtschaft zu finden». Dieser bestünde darin, Konzepte zu fördern, die eine Art «soziale Innovation» hervorbringen. «Der Einbau von Maschinen in unsere digitale Gesellschaft, dass sie zugunsten der Bevölkerung stattfindet, das ist die Aufgabe.»

Digitalisierung hat Grenzen

Bei aller Digitalisierungseuphorie gilt es jedoch zu beachten, dass die Entwicklung Grenzen – oder zumindest gewisse Einschränkungen – hat. Sigrist formuliert es so: «Es ist gut möglich, dass die Digitalisierung nicht so weit gehen wird, wie man das annehmen könnte.» Das liege zum einen an der Leistungsfähigkeit der Computersysteme, die heute gar nicht in der Lage sind, all das sinnvoll auszuwerten, was wir speichern können. Zum anderen liege es an einer Überforderung des Menschen: «Wir haben einen Echtzeitzugriff auf alles, was gesagt wird. Das erschwert die Entscheidungsfähigkeit, das erzeugt ein Rauschen in unseren Köpfen.»

Für die Schweizer KMU etwa leitet Sigrist daraus Folgendes ab: «In vielen Sektoren wird die Welt in den kommenden 12 Monaten nicht komplett auf den Kopf gestellt. In der Regel müssen die Firmen jetzt nicht Unsummen in digitale Technologien investieren.» Primär gehe es nun darum, «dass man sich Gedanken darüber macht, wie man innerhalb eines Unternehmens eine Datenkultur fördern kann, um sich ein Bild zu machen, bei welchen konkreten Prozessen digitale Hilfsmittel sinnvoll sein können und wo nicht».

Auch wenn die Digitalisierung in gewissen Grenzen ablaufen wird, steht die Entwicklung doch erst am Anfang. Erste Geschäftsmodelle bilden sich heraus, noch sehr viel mehr wird nachkommen. «Nachdem wir die letzten 20 Jahre das digitale Alphabet entwickelt haben», sagt Sigrist, «lernen wir jetzt langsam, damit zu schreiben.»

Text auf aargauerzeitung.ch

Text in der Aargauer Zeitung

Industrie 4.0 in der Praxis

LCA Automation: Wenn der Computer zur Glaskugel wird

Die Techniker der Firma LCA Automation aus Küssnacht am Rigi SZ können in die Zukunft schauen. Zumindest in die der eigenen Maschinen. Egal, ob diese in China, Russland oder Mexiko stehen: Per E-Mail oder Push-Mitteilung werden sie benachrichtigt, wenn ein Ausfall droht.

LCA hat eine Software zur Fern-Überwachung ihrer Maschinen entwickelt. Diese ermöglicht, die Restlebensdauer von Schlüsselkomponenten vorherzusagen. Anders gesagt: Der Betrieb von Christoph Rennhard weiss, wann und warum eine Maschine kaputt geht, bevor sie kaputt geht – und kann entsprechend eingreifen. Industrie 4.0 in seiner Reinform.

In der Praxis sieht das so aus: LCA verkauft eine Maschine, die meisten gehen in die Europäische Union, nach China, Mexiko und Russland. Von der Schweiz aus kann nicht nur per Fernwartung auf die Maschinen zugegriffen, sondern neu auch die Sensoren und die Signale der Maschine ausgelesen werden. Die Daten werden mittels Algorithmen ausgewertet und die Ergebnisse an die zuständigen Stellen in der Geschäftsleitung oder im Service geleitet. «So werden nicht nur Produktionskennzahlen ermittelt, sondern ganz im Sinne von Industrie 4.0 auch die Restlebensdauer und die Verfügbarkeit – alles frei kombinierbar», sagt Firmenchef Rennhard. Das Ergebnis erscheint grafisch individuell aufbereitet auf dem Smartphone des jeweiligen Mitarbeiters. So wird der Techniker über bevorstehende Reparaturen unterrichtet und der Geschäftsführer kann zum Beispiel Quervergleiche zwischen einzelnen Werken in unterschiedlichen Ländern anstellen.

Ferngesteuerter Techniker

Sollte ein Eingriff vor Ort notwendig sein, setzt sich ein Techniker der Firma, die die LCA-Maschine im Einsatz hat, einen eigens entwickelten Helm mit Kamera auf und führt die Reparatur durch. Die Kamera liest QR-Codes auf der Anlage. «Durch das schiere Betrachten des Moduls», sagt Rennhard, «erhält der Techniker Informationen über das Produkt.» Dafür braucht es eine spezielle Kamera. Zusätzlich bekommt er über den Internet-Telefondienst Skype Anweisungen von den LCA-Mitarbeitern – entweder aus der Zentrale in der Schweiz oder der jeweiligen Niederlassung in Schanghai oder in Mexiko.

Ganz reibungslos geht das Ganze jedoch noch nicht vonstatten. Als Rennhard eine Maschine mit Industrie-4.0-tauglicher Steuerung nach Russland verkaufen wollte, spürte er zunächst Gegenwind. «Die Entscheidungsträger waren typischerweise aus der Generation des Kalten Krieges, also nicht allzu bewandert im Umgang mit den neuen Medien und zusätzlich noch durch eine gewisse Amerikanophobie geprägt.» Kein leichtes Umfeld für den Einsatz von iPhones am Arbeitsplatz. In den letzten Jahren sei allerdings eine junge Generation herangewachsen, die auch in Russland die neuen Technologien einsetzt. «Die Entscheidungsträger wollten uns weismachen, dass diese neue Technik für den Einsatz in Russland völlig ungeeignet sei. Die neue Generation, die selbst Smartphones besitzt, hatte jedoch keinerlei Berührungsängste.» So habe man die Industrie-4.0-Technik schliesslich durchsetzen können – auch wenn das Management bis heute nicht ganz verstehe, was da passiert.

So schlimm ist die Situation hierzulande sicher nicht, die Hürden für Industrie 4.0 liegen tiefer. Und doch hätten gerade kleinere Anbieter auch in der Schweiz mit Problemen zu kämpfen: «Die Prozesskenndaten von grossen Konzernen, die wir zur präventiven Wartung sammeln, dürfen wir aus Datenschutzgründen in keiner Cloud speichern», sagt Rennhard. Das erschwere den Prozess. «Wir wurden mehrfach in der Umsetzung dieser Industrie-4.0-Themen durch Konzernrichtlinien behindert.»

Vorteil durch Kundennähe

Überzeugt ist Rennhard dennoch von den neuen Möglichkeiten. Was ihm Industrie 4.0 bringt? «Vor allem Kundennähe», sagt der LCA-Chef. «Wir sind immer im Kontakt mit dem Kunden, um den Erfolg der Anlage zu beurteilen.» Der Mehrwert sei schwer quantifizierbar, doch es sei klar: «Der ständige Kontakt ist für uns ein Vorteil.» So erfahre man zum Beispiel früh von neuen Ausschreibungen und könne sich gezielt darauf einstellen. «Durch den Dialog mit dem Kunden können Unsicherheiten, die Geld und Zeit kosten können, verringert werden.» Um Industrie 4.0 in der Schweiz voranzutreiben, sei jetzt Mut gefragt: «Es braucht den Willen, einen langen Atem – und den Kopf, der sich zutraut, solche Systeme umzusetzen.»